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Der Gender Data Gap

Der Gender Data Gap

Stell dir vor, du bist voller Energie auf der Skipiste unterwegs, aber deine Skibindungen sind nicht richtig auf dein Gewicht eingestellt und die Schuhe sind zu groß. Jede Kurve kostet dich Kraft, du rutschst, kämpfst, anstatt die Abfahrt zu genießen und auch das Verletzungsrisiko steigt.

Genauso fühlt sich Sport oft für Frauen an, wenn Trainingspläne und Empfehlungen auf Daten beruhen, die fast ausschließlich an Männern erhoben wurden. Die Folge: Du trainierst nach Vorgaben, die nicht auf deinen Körper abgestimmt sind. Du fühlst dich erschöpft, kommst nicht weiter oder verlierst die Motivation, obwohl du eigentlich alles richtig machst.

Was ist der Gender Data Gap genau?

Der „Gender Data Gap“ beschreibt die systematische Datenlücke zwischen den Geschlechtern in der wissenschaftlichen Forschung. Besonders in der Sport- und Trainingswissenschaft wird dieser Gap deutlich. Frauen sind dort noch immer massiv unterrepräsentiert – sowohl in der Anzahl der Studienteilnahmen als auch in der geschlechtsspezifischen Auswertung der Ergebnisse.

Die Studie „Invisible Sportswomen“ (Cowley et al., 2021) zeigt dieses Ungleichgewicht deutlich:

  • Nur rund 6 % der Studien arbeiteten ausschließlich mit Frauen.
  • Zwei Drittel der Studien basierten nur auf männlichen Daten.
  • Der Rest mischte die Geschlechter – ohne die Ergebnisse geschlechterspezifisch auszuwerten.

Das Ergebnis zeigt klar: Für Frauen fehlen fundierte Leistungsdaten sowie spezifische Trainings- und Gesundheitsempfehlungen. Viele gängige sportwissenschaftliche Standards beruhen auf männlichen Normwerten und ignorieren dabei zentrale physiologische Unterschiede im weiblichen Körper. Für Frauen sind sie deshalb oft nicht nur wenig aussagekräftig, sondern teilweise sogar ungeeignet.

Warum ist diese Forschungslücke problematisch?

Der weibliche Körper unterliegt hormonellen Schwankungen im Zyklus, die sich auf Energielevel, Muskelkraft, Ausdauer, Regeneration, Schlaf und Stimmung auswirken. Ignoriert man diese Faktoren, entstehen Trainingspläne und Empfehlungen, die für Frauen nicht nur ineffektiv, sondern potenziell sogar gesundheitlich riskant sein können.

Mögliche Folgen des Gender Data Gaps:
  • Höhere Verletzungsanfälligkeit (z. B. durch verminderte Koordination in bestimmten Zyklusphasen)
  • Erhöhtes Risiko für Übertraining oder Syndrome wie RED-S (Relative Energy Deficiency in Sport)
  • Unzureichende Regeneration und Schlafprobleme
  • Geringere Motivation oder Frustration durch stagnierende Trainingserfolge
  • Belastung für Psyche und Hormonhaushalt

Beispielsweise lässt sich in der ersten Zyklushälfte oft besser Kraft aufbauen, während in der zweiten Hälfte bei Hitze die Ausdauerleistungsfähigkeit sinken kann. Zykluswissen ist also entscheidend und wird dennoch in vielen Trainingssystemen ignoriert.

Frauen in der Sportforschung: Noch immer „die Ausnahme“

Die Studie von Cowley et al. verdeutlicht aber nicht nur, dass Frauen in wissenschaftlichen Studien zahlenmäßig unterrepräsentiert sind, sie zeigt auch das strukturelle Problem dieser Forschungslücke auf: Studien, die ausschließlich mit Männern durchgeführt werden, tragen oft geschlechtsneutrale Titel, während Frauen explizit genannt werden, wenn sie in Studien auftaucht. Dadurch entsteht der Eindruck: Der männliche Körper ist die „Norm“, der weibliche eine Ausnahme.

Aber warum werden Frauen eigentlich in Studien weniger berücksichtigt?

Die Antwort ist ernüchternd, aber simple: Der weibliche Körper ist komplexer zu untersuchen. Zyklusphasen, hormonelle Verhütung, Schwangerschaft, Menopause – all diese Variablen machen Studien aufwändiger, zeitintensiver und teurer. Die Folge: Frauen werden systematisch aus Studien ausgeschlossen, obwohl genau diese Faktoren ihren Alltag prägen und für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden relevant sind.

Fazit

Dein Körper ist kein kleiner Männerkörper. Er ist einzigartig, leistungsfähig und verdient es, verstanden zu werden. Was es braucht, sind Trainingspläne und Empfehlungen, die auf dich zugeschnitten sind: fundiert, zyklusbasiert und evidenzbasiert.

Bis die Forschung aufholt, ist dein Wissen um diese Lücke ein erster, wichtiger Schritt. Du darfst hinterfragen, was du liest, hörst und trainierst und auf deinen Körper hören.

Quellen:

Cowley E, Olenick A, Mcnulty K. “Invisible Sportswomen”: The Sex Data Gap in Sport and Exercise Science Research. Women in Sport and Physical Activity Journal, 2021.

Sung E, Han A, Hinrichs T, Vorgerd M et al. Effects of follicular versus luteal phase-based strength training in young women. SpringerPlus, 2014; 3:668.

Janse De Jonge X, Thompson M, Chuter V, Silk L et al. Exercise Performance over the Menstrual Cycle in Temperate and Hot, Humid Conditions. Med. Sci. Sports Exerc, 2012; 44 (11):2190–2198.

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