Dass Frauen im Sport ein höheres Verletzungsrisiko haben als Männer, ist in zahlreichen Studien untersucht und bestätigt worden. Besonders auffällig ist dies bei Verletzungen des Kniegelenks, allen voran beim vorderen Kreuzband (ACL, anterior cruciate ligament). Doch woran liegt das und welche Faktoren spielen dabei eine Rolle?
Anatomische Unterschiede: Der Q-Winkel
Ein zentraler anatomischer Faktor ist der Q-Winkel. Er beschreibt den Winkel zwischen Becken, Kniescheibe und Schienbein. Da Frauen in der Regel ein breiteres Becken haben als Männer, ist ihr Q-Winkel größer (c. 15–20°) als bei Männern (ca. 10–15°). Ein erhöhter Q-Winkel bedeutet, dass der Oberschenkelmuskel bei Anspannung die Knie stärker nach außenzieht, wodurch das Risiko für Knieverletzungen, Patellaluxationen und Kreuzbandverletzungen erhöht ist.
Hormone und Bindegewebe
Auch hormonelle Faktoren spiele eine wichtige Rolle. Studien zeigen, dass die Schwankungen von Östrogen und Progesteron im weiblichen Zyklus die Bandlaxität, also die Lockerheit der Bänder, beeinflussen können. In Phasen hoher Hormonspiegel (Ovulation) verändert sich die Stabilität im Kniegelenk, was das Risiko für Verletzungen wie Kreuzbandrisse erhöht (Shultz et al., 2008).
Neuromuskuläre Kontrolle und muskuläre Dysbalancen
Ein weiterer entscheidender Faktor ist die neuromuskuläre Kontrolle. Frauen neigen beim Landen nach Sprüngen oder beim Richtungswechsel häufiger zu einem Knievalgus, bei dem das Knie nach innen knickt. Dadurch wird das Knie ungleichmäßig belastet und das Risiko für ACL-Verletzungen steigt deutlich. (Hewett et al., 2006).
Hinzu kommen muskuläre Dysbalancen: Oft ist der Quadrizeps stärker ausgeprägt als die Hamstrings und Gesäßmuskulatur. Diese ungleiche Kraftverteilung kann die Stabilität im Kniegelenk beeinträchtigen und die Belastung auf die vorderen Strukturen zusätzlich erhöhen.
Mehr als Anatomie: Ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren
Das erhöhte Verletzungsrisiko bei Frauen ist kein Resultat eines einzelnen Faktors, sondern ein komplexes Zusammenspiel von:
- Anatomie (Q-Winkel, Beckenform)
- Hormonen
- Neuromuskulärer Kontrolle
- Muskulärer Stabilität und Kraft
- Muskulären Dysbalancen (Quadrizeps vs. Hamstrings/Glutealmuskulatur)
- Sportartspezifischen Belastungen
Prävention: So lässt sich das Verletzungsrisiko senken
Die gute Nachricht: Durch gezieltes Training kann das Risiko für Verletzungen deutlich reduziert werden. Sinnvoll sind Trainingsprogramme, die folgende Aspekte beinhalten:
- Krafttraining: Fokus auf Hüft- und Rumpfmuskulatur, Hamstrings und Gesäßmuskeln
- Plyometriches Training: Sprung- und Landeschulung
- Koordinations- und Balanceübungen
- Techniktraining für sportartspezifische Bewegungen
Studien zeigen, dass solche Präventionsprogramme die Zahl der Kreuzbandverletzungen bei Sportlerinnen signifikant reduzieren können (Hewett et al., 2006).
Ein weiterer Ansatz ist zyklusbasiertes Training. Während der Ovulation, wenn der Östrogenspiegel besonders hoch ist, sind die Bänder wie oben erwähnt oft noch laxier. In dieser Phase ist daher besondere Vorsicht geboten, um Überlastungen und Verletzungen zu vermeiden (Wojtys et al., 2002).
Fazit
Frauen sind im Sport besonders im Bereich der Kniegelenke verletzungsanfällig. Verantwortlich sind anatomische Unterschiede wie der Q-Winkel, hormonelle Schwankungen, Unterschiede in der neuromuskulären Kontrolle sowie muskuläre Dysbalancen. Mit gezieltem Training, Präventionsprogrammen und Aufklärung lässt sich das Risiko jedoch deutlich senken. Wichtig ist, Sportlerinnen frühzeitig zu informieren und entsprechende Übungen regelmäßig in den Trainingsalltag zu integrieren.
Quellen
Horton, M. G., & Hall, T. L. (1989). Quadriceps femoris muscle angle: normal values and relationships with gender and selected skeletal measures. Physical Therapy, 69(11), 897–901.
Shultz, S. J., et al. (2008). Relationship between sex hormones and anterior knee laxity across the menstrual cycle. Medicine & Science in Sports & Exercise, 40(5), 935–943.
Hewett, T. E., et al. (2006). Anterior cruciate ligament injuries in female athletes: Part 1, mechanisms and risk factors. The American Journal of Sports Medicine, 34(2), 299–311.
Powers, C. M. (2010). The influence of abnormal hip mechanics on knee injury: a biomechanical perspective. Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy, 40(2), 42–51.
Zazulak, B. T., et al. (2005). The effects of core proprioception on knee injury: a prospective biomechanical-epidemiological study. American Journal of Sports Medicine, 33(7), 1123–1130.
Wojtys, E. M., et al. (2002). Association between the menstrual cycle and anterior cruciate ligament injuries in female athletes. American Journal of Sports Medicine, 30(2), 182–188.
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